Archiv für Juli, 2010

Scream if you can

Posted in Baum, Bäume, Idealismus, Kindheit, Natur, Naturschutz on Juli 11, 2010 by johnbete

Kindheit ist was Tolles. In der Kindheit ist man noch unbeschwert und gleichzeitig idealistisch. Eine perfekte Mischung, die man jedem Erwachsenen wünscht. Man kämpft in der Kindheit Kriege, die man nicht gewinnen kann. Man will nicht ins Bett, man will in das Bett der Eltern, man will ein Eis, man will den Nachtisch sofort, man will jetzt ins Schwimmbad, man will neue Action-Figuren und man bekommt das alles weil man mit einem widerspenstigen Idealismus kämpft der den meisten Erwachsenen irgendwo zwischen Abitur und Karriereberatungsgespräch abhanden gekommen ist. Man stelle sich vor erwachsene Menschen würden sich auf den Boden einer Firmenzentrale werfen weil ihnen gekündigt worden ist. Niemand wäre mehr arbeitslos.

Ich möchte jetzt nicht, meine Leser, so fern ich denn welche habe, dazu auffordern  ihr inneres Kind wiederzubeleben und sich fortan all das rauszunehmen, was Kindern gestattet wird.

Vielmehr möchte ich erzählen, wie ich merkte, dass auch mein innerer Schreihals in irgendeiner Stauschlange oder ähnlichem von mir verloren und zurückgelassen wurde. Wahrscheinlich resignierte ich gerade an irgendeinem Formular der Bafög-Stelle, kapitulierte in einem Gespräch mit meinem Bankberater oder ging einen weiteren faulen Kompromiss mit meinem Chef ein. Und jetzt steht mein Schreihals am Ort des Geschehens und wartet darauf, dass ich ihn wieder abhole und mir seine Eigenschaften zunutze mache.

Die Abstinenz meines inneren Querulanten machte sich heute bemerkbar. Gestern schrieb mir eine Bekannte, dass sie sich einen Baum tätowieren lassen möchte. Ich wollte wissen wieso und als Antwort wurde mir geschrieben, dass Bäume schön grün, schön schattig, schön riechend und rauschend sind. Und sie außerdem Wurzeln hätten. Nun eigentlich ist so ein Bekenntnis einem vermeintlich toten Gegenstand gegenüber ein sehr romantischer Liebesbeweis an eben diesen Gegenstand. Doch im Zusammenhang mit einem Baum, rang mir diese Liebe im ersten Moment nur ein innerliches sarkastisches Lächeln ab und das Wort, welches mir durch den Kopf geisterte war „Öko-Tussi“

Als ich später noch einmal drüber nachdachte wurde mir bewusst, dass es in einer guten Welt wahrscheinlich nicht so uncool wirken würde einem ziemlich lebendigen Stück Natur Anerkennung zu zollen. Denn auch ich war mal ein „Öko-Fritze“ Als ich elf Jahre alt war, war ich jeden Tag auf dem Fußballplatz, der an meine Grundschule angrenzte, zu finden. Dieser Bolzplatz wiederum war umgeben von einem Wald auf der einen und einer Böschung auf der anderen Seite. Dieser Bau der Natur verlieh einem manchmal ein Gefühl davon wie es sein muss in einem großen vollbesetzten Stadion auflaufen zu dürfen. Zumindest wenn man etwas kindliche Fantasie sein Eigen nennen konnte. In diesem Konzert der großen Bäume gab es einen Lieblingsbaum meinerseits. Wenn man will war er der Star unter den Bäumen. Er war riesig. In der Realität wahrscheinlich nur 15m hoch aber in meiner Erinnerung ist er kaum kleiner als ein brasilianischer Urwaldriese. Der Baum stand direkt am Spielfeldrand. Dort wo auf einem richtigen Fußballplatz die Eckfahne platziert gewesen wäre. Im Sommer, wenn die Hitze sich auf dem Platz staute, war der Baum unsere Kabine. Er gab uns Schatten und wir konnten unsere Fahrräder unter ihm platzieren und mussten keine Angst haben, dass wir uns den Allerwertesten auf der Rückfahrt verbrennen weil die Sonne den Sattel zum Kochen bringen würde. Im Herbst, schützte uns der Baum vor Regen und im Winter…Im Winter war er einfach da. Doch dann kam irgendwann der Frühling und dieser brachte einen Sturm mit. Der starke Wind brach dem Baum einige Äste ab und die großen Stücke Holz lagen auf der Wiese. Für uns Kinder war es nicht weiter schlimm, wir räumten das tote Holz bei Seite und kickten weiter. Womit wir nicht gerechnet hatten war der Reaktionismus eines besorgten Vaters. Er sah das Holz und seinen übergewichtigen Jungen wie er auf dem Platz versuchte den Ball in die richtige Richtung zu bewegen und nuschelte daraufhin in unsere Richtung: „Ich werde mal der Stadt bescheid sagen, dass der Baum da wegkommt.“ Was für ein Schock. Dieser Neureiche Oberlippenschnurrbartträger wollte unsere Kabine abreißen. Das konnte nicht sein. Ich beschloss etwas gegen das drohende Unrecht zu unternehmen und begann Unterschriften zu sammeln. Ich war sogar so dreist, die Frau des Baummörders zu einer Unterschrift auf meiner Liste zu bewegen. Was im Endeffekt auch der Grund für den Fortbestand des Baumes gewesen sein dürfte. Jedenfalls war ich weit davon entfernt anderen naturbewussten Menschen mit Zynismus zu begegnen. Ich hätte meiner bekannten wahrscheinlich eher ein aufrichtiges Lächeln geschenkt. Vollkommen ohne ironischen Unterton.

Ich begebe mich jetzt auf die Suche nach meinem Schreihals.

Coupe Jules Rimet XII

Posted in Armut, Brasilien, Homophobie, Indios, Rassismus on Juli 9, 2010 by johnbete

Japaner sind nette Menschen. Japaner treten auch mal zurück. Japaner lassen auch mal Fünfe gerade sein. Deswegen werden die Japaner vierter in meiner WM-Wertung. Denn mir ist ein Fehler unterlaufen. Australien hätte im Halbfinale den Platz der Elfenbeinküste einnehmen müssen, wäre aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch ausgeschieden im Fahnenvergleich. Weil ich aber keine diplomatischen Spannungen vertrage werde ich den Australiern dafür den dritten Platz mehr oder weniger schenken. Denn mein Thema ist im Spiel um Platz 3 „ Selbstmordsoldaten“ Wer weniger Soldaten hat, die sich selbst umgebracht haben hat gewonnen. Und da Japan bekannt dafür war Kamikaze Bomber auszubilden während Australien eben nur eine stinknormale Armee hat gewinnt hier der fünfte Kontinent. Australien also auf Platz drei und Japan auf vier.

Nun zum Finale. Lange Zeit habe ich überlegt welches Thema ich hier behandeln kann. Schließlich muss es ja auch zu einem Finale passen. Doch dann ist mir ein sehr kluger Satz eingefallen, der immer wieder auftaucht wenn es um Mannschaftssport geht: „Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“ Also sollte ein Weltmeister doch sehr auf seine Schwächsten achten. Deswegen will ich heute etwas über die Sozialpolitik von Mexiko und Brasilien herausfinden. Wie sieht es aus mit Armutsbekämpfung, Minderheiten und Behinderten etc.

Beginnen wir mit Mexiko. Mexiko ist für viele fast so was wie der Inbegriff industrieller Armut. Ich realisierte erstmals, dass Mexiko ein Schwellenland ist in dem die Armut vorherrscht und nicht etwa Speedy Gonzales, Sombreros und Tequila, als ich zum ersten Mal das Video zu „In-Invalid Litter Dept.“ von der Band „At the Drive-In“ sah. Dieses Video ist eine Art Dokumentarfilm über Geschehnisse in der Stadt Juarez mit verstörend schöner Hintergrundmusik. Die Geschichte des Clips handelt davon, dass in Juarez amerikanische Billig-Fabriken stehen, die dass mexikanische System ausnutzen und mexikanische Frauen zu unverschämt niedrigen Löhnen beschäftigen. Diese Fabriken stehen mitten in der Wüste und viele Frauen müssen dort raus fahren um ein wenig Geld zu verdienen. Viele von ihnen werden auf dem Weg dorthin oder auf dem Weg nachhause ermordet. Komischerweise gibt es über 500 Morde und keiner wurde aufgeklärt. Diese ganze Geschichte plus dieser wirklich unfassbar schönen Gitarrenmusik hat mich damals so aufgewühlt, dass ich nachts stundenlang vor Viva 2 gesessen habe und hoffte dieses Video zu sehen. Jeder der dass hier liest und Gitarrenmusik mag, sollte jetzt auf dem Videoportal seines Vertrauens nach diesem Lied suchen. Ihr werdet es nicht bereuen. Doch zurück zum eigentlichen Thema. Armut in Mexiko. Mexiko hatte in den Jahren 1994/95 die Tequila Krise zu beklagen. Diese Wirtschaftskrise bekam vom mexikanischen Diplomaten Octavio Paz seinen Namen und ist, laut dem früheren Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds Michel Camdessus, die erste Wirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts gewesen. 50% der mexikanischen Bürger taumelten damals in die Armut. Aufgrund einer neuen Regierung und Hilfen des IWF konnte die Zahl bis 2004 auf 17,6 % gedrückt werden. Was natürlich immer noch deutlich zu hoch ist aber im Vergleich zum vorherigen Stand eine deutlich bessere Perspektive darstellt. Mexiko war der erste Staat in der Geschichte der Menschheit der den Begriff „Soziale Sicherheit“ in seiner Verfassung nennt. Seit 1943 gibt es Mexikanische Institutionen, die sich um alte, arbeitslose und behinderte Menschen kümmert. Auch Minderheiten wie Homosexuellen gegenüber ist man sehr fortschrittlich und hat diese schon 1810 legalisiert. 2004 wurde dann nochmals ein neues Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Doch wie so viele andere Länder hat auch Mexiko seinen schwarzen Fleck auf der Visitenkarte. Hier sind es die indigenen Völker, welche diskriminiert und ausgegrenzt werden. Zwar ist der Großteil der Mexikaner stolz auf die indigene Herkunft des Landes und feiert Feste der Indiokultur dennoch werden die indigenen Völker in Mexiko von der Mehrheitsbevölkerung diskriminiert. So kann zum Beispiel die Hälfte der Indios nicht richtig lesen und schreiben.

Sehen wir nun wie es sich in Brasilien verhält. Auch in Brasilien hatte man lange Zeit ein Problem mit den Indios. Von ursprünglich fünf bis sechs Millionen waren 1950 nur noch 100.00 übrig. Inzwischen hat sich die Situation jedoch etwas entspannt und es gibt mittlerweile eine halbe Million Indios in Brasilien. Durch Gesetze zum Schutz der Indios sind sogar indigene Menschen aus den umliegenden Ländern wie Peru oder Kolumbien dazu übergegangen nach Brasilien einzuwandern. Jedoch gibt es auch heute noch regelrechte Massaker an im brasilianischen Urwald wohnenden Indios, die durch Goldgräber oder Minenarbeiter durchgeführt werden. Die Regierung unterstützt dieses Verhalten indirekt weil die Täter nur selten strafrechtlich verfolgt werden und man auch Genehmigungen für das Ausbeuten indigener Wohnorte vergibt.

Brasilien hat genauso wie Mexiko eine Geschichte der Armut. Diese Geschichte trägt ein Wort als Überschrift. Favela. Favelas sind Armutsviertel in brasilianischen Großstädten. Den Namen bekamen sie von einer brasilianischen Kletterpflanze, die ähnlich wie die Armen, die Berge hochklettert. Diese Viertel werden häufig als Stadt in der Stadt bezeichnet und von dem dortigen Drogenkartell regiert. Um den Begriff der innerstädtischen Stadt zu verstehen genügt es wenn man sich die Einwohnerzahl des berühmtesten Favelas ansieht. Rocinha ist umgeben von den Stränden der Copa Cabana und Ipanema. In diesem Armutsviertel wohnen 250.000 Menschen. Ein Viertel der Einwohner Kölns sind das. Versuchte man in den 60ern, unter einer Militärregierung, noch die Menschen gewaltsam umzusiedeln, ist man nun dazu übergegangen die Menschen in den Favelas erreichen zu wollen. Dies beginnt schon bei der Versorgung mit dem nötigsten wie Strom und einer Kanalisation.

Neben dem Indioproblem und der Armutsgeschichte haben Brasilien und Mexiko auch in ihrem Umgang mit Homosexualität eine große Ähnlichkeit. Seit 1823 ist Homosexualität in Brasilien legal und auch die Antidiskriminierungsgesetze sind in Brasilien geradezu revolutionär schnell eingeführt worden. Zudem gibt es in Sao Paulo die weltweit größte Demonstration gegen Diskriminierung von Homosexuellen. Allerdings geht die Brasilianische Homophobie auch wieder einen Schritt weiter als die Mexikanische. Ist in Mexiko von typischer ländlicher Homophobie die Rede, gibt es in Brasilien eine Organisation der angelastet wird bewusst Homosexuelle umzubringen. Im Jahr 2002 waren es ungefähr 200 Menschen, die deswegen ihr Leben lassen mussten.

Kommen wir nun zur Auswertung. Ich muss sagen, dass ich mir hier kein allzu schönes Thema ausgesucht habe und ich eigentlich auch nicht wirklich einen Sieger küren möchte. Da man im Umgang mit Minderheiten wohl nie so vorbildlich ist, wie man sich selbst gerne präsentieren würde. Aber da Mexiko bessere Gesetze zur Armutsvermeidung hat und dort Homophobie und Rassismus in gemäßigteren, trotzdem widerlichen, Zügen verläuft, würde ich sagen, dass Mexiko mein Weltmeister ist.

Weltmeister: Mexiko

Vize: Brasilien

Dritter. Australien

Ende

Check – In

Posted in Schlaf, Tage, Träume on Juli 2, 2010 by johnbete

Vor dem WM- Finale noch eine Geschichte über das Schlafen.

Es gibt verschiedene Tage. Ich meine jetzt nicht Montag, Dienstag, Mittwoch etc. Sondern Tage, die eine unterschiedliche Bedeutung von uns erhalten. Tage an denen zum Beispiel alles klappt und wir auf einer Welle des Erfolgs und der Sympathie schwimmen. Ein „Glücks-Tag“ sozusagen. Oder Tage, deren vierundzwanzig Stunden nur Pech und Unglück für uns bereithalten. Wo man morgens schon mit dem Fuß gegen die Bettkante stößt nur um sich abends beim Zähneputzen, Zahnpasta ins Auge zu spritzen. Meistens sind wir froh wenn diese Tage sich dem Ende nähern, da wir die unfreiwillige Komik dieser Zeitspanne erst später erkennen und akzeptieren können. „Gebrauchte Tage“, nennt man so etwas dann gerne.

Für Nächte gibt es ein solches System natürlich auch. Nächte wo man so müde ist und daher überraschend tief und gut schläft, habe ich den Namen „Schlummersteinnächte“ gegeben. Wenn ich eine solche Nacht erlebe kann neben mir die Air Force One landen, Obama aussteigen und eine Blaskapelle ihm zu Ehren Stars and Stripes spielen, ich würde nicht wach werden und es einfach ignorieren. Wenn ihr das nicht glaubt organisiert eine Air Force One, einen Präsidenten und eine Blaskapelle und ich werde den Beweis antreten. „Unruhige Nächte“ sind hingegen die, in denen man sehr unruhig schläft. Man hat die Augen zwar geschlossen und befindet sich am Check- In zur „Land der Träume Airlines“ aber jedes noch so kleine Geräusch ist in der Lage einen wach werden zu lassen. Wenn man dann wieder einschläft haben sich Leute am Check- In Schalter vorgedrängelt und man steht hinten in der Reihe. Dann fragt man sich ob man es überhaupt noch schafft ins Land der Träume. Wegen diesem Gedanken wird man nervös und entdeckt dass man noch mal dringend die Toilette aufsuchen sollte. Da Laufen lassen im eigenen Bett nicht so eine ganz tolle Sache ist, steht man auf und geht ins Bad. Überraschenderweise merkt man, als die Badezimmerlichter die Augen blenden, dass man doch ganz schön müde ist. Hoffnungsvoll schleppt man sich ins Bett und schließt die Augen wieder fest. Nur um festzustellen, dass der ganze Flughafen leer ist. Die letzte Maschine zum Land der Träume hebt gerade ab und man ist nicht an Bord. Ein absoluter Albtraum. Daraufhin wacht man auf und stellt fest, dass es schon 5:30 ist und ein erneuter Einschlafversuch keinen Sinn mehr macht. Also guckt man hirnlose TV-Sendungen, versucht ein Buch zu lesen oder surft im Internet. Solange bis der Wecker klingelt und man eigentlich aufstehen sollte.

Die große und noch viel furchteinflößendere Schwester einer unruhigen Nacht ist die „Was-wäre-wenn-Nacht“ Im Folgenden werde ich sie der Einfachheit halber www-Nacht nennen. Www-Nächte zeichnen sich dadurch aus, dass man weiß, dass man für heute kein gültiges Ticket hat und daher sowieso nicht zum Träumen kommt. Man versucht stattdessen, die Zeit mit ermüdenden Spielchen totzuschlagen um irgendwann dann doch einmal die Augen schließen zu können. Man spielt eben „Was wäre wenn…?“ Hierbei stellt man sich Fragen über sein Leben und versucht deren Antworten zu konstruieren, da es keine wirklich nachweisbaren Antworten geben kann. Ich habe mittlerweile einen ganzen Fragenkatalog, den ich einfach abspule. Es beginnt meist mit harmlosen Fragen und steigert sich dann zu immer tiefer gehenden Simulationen. Zwei Fragen dürfen bei den harmlosen nie fehlen: 1. Was wäre wenn, mein großer Bruder mich nie mitgenommen hätte zum FC? Diese Frage beantworte ich je nach Stimmung und Tabellenstand. In den Niederungen der zweiten Liga etwa, glaubte ich zu wissen, dass ich mich dann auf meine Talente gestürzt hätte und ein Instrument hätte beherrschen lernen oder aber richtig gut schreiben gelernt hätte. Wenn der FC am nächsten Tag ein wichtiges Spiel hat, komischerweise tauchen die www-Nächte gerade dann auf, denke ich jedoch fast ausschließlich daran wie viele tolle Erlebnisse mir durch die Lappen gegangen wären, wenn ich den FC nie kennen gelernt hätte. Die zweite Frage beschäftigt sich mit einem Erlebnis aus meiner späten Kindheit. Ich war zum Geburtstag bei meinem damals besten Freund eingeladen und hatte nicht soviel Lust hinzugehen. Es waren ganz viele andere Kinder, zum Großteil auch noch ältere, da. Ich kannte niemanden davon und wenn ich in mich hineinhörte, wusste ich auch, dass mein Kumpel in einer anderen Liga spielte. Seine Eltern waren in meinen Augen reich und meine nur nicht arm. Was angesichts der Tatsache, dass wir in derselben Siedlung auf derselben Straßenseite wohnten, ein verzerrtes Bild zu sein scheint. Jedenfalls wollte ich nicht da auftauchen und feststellen, dass ich den anderen irgendwie unterlegen bin. Außerdem war ich damals noch nicht sehr eloquent. Wenn ich heute in einen Raum mit fremden Menschen komme, ist das kein Problem für mich, da ich einfach anfange mit den Anderen zu reden. Damals jedoch hätte mir nichts ferner liegen können. Ich entschloss mich so zu tun, als ob ich krank wäre und Louis anzurufen um ihm zu sagen, dass ich nicht kommen würde. Auf der Straße zwischen unseren Häusern überreichte ich ihm in meinen Joggingangzug gehüllt sein Geschenk und wünschte ihm viel Spaß auf seiner Feier. Das war das erste Mal, dass ich etwas tolles verpasste weil ich Schiss hatte. Das zog sich ziemlich lange durch meine Jugend. „Ah Scheiße, das Mädchen hat mich angelächelt“, dachte ich in meiner Jugend nicht nur einmal um mich daraufhin mit hochrotem Kopf wegzudrehen. Wobei es auch echt schwer zu glauben ist, dass Mädchen damals mit einem Lächeln in meine Richtung etwas anderes als Peinigung bewirken wollten. Ich weiß, dass es damals wahrscheinlich (die Worte „ich weiß“ und „wahrscheinlich“ schließen sich eigentlich aus. Soviel zu meiner angeblichen Sicherheit) nicht die richtige Wahl war die Party zu meiden. Vor allem wenn man ein pathologisches Vermeidungsmuster daraus werden lässt. Irgendwann war Louis auch nicht mehr mein bester Freund und heute haben wir eigentlich gar keinen Kontakt mehr zueinander.

Wenn man diese leichten Fragen hinter sich hat, stürzt man sich in die Bearbeitung selbsterdachter Realitäten. Was wäre wenn ich zum Beispiel der Sohn meines Vaters wäre, aber eine andere Mutter hätte? Was wäre wenn ich gar nicht geboren worden wäre? Was wäre wenn der erste Mann und die erste Frau nicht gewusst hätten wie das mit den Bienen und Blumen funktioniert? Was wäre wenn…? Irgendwann schläft man dann doch ein. Meistens um dieselbe Zeit an der die unruhigen Schläfer von der Toilette zurückkommen und merken, dass sich schlafen nicht mehr lohnt. Nach einer Stunde klingelt dann der Wecker und man fragt sich, erneut was wäre wenn…ich einen ordentlichen Schlafrhythmus hätte?